Ein zweites Zuhause in der Ferne: Chinesische Schüler im Schwarzwald
22.02.2016
Weit mehr als 8000 Kilometer Luftlinie liegen zwischen China und Deutschland, da sind die kulturellen Unterschiede in allen Bereichen gewaltig, auch in den Schulen. „Klassen mit 70, 80 Schülern sind in China nicht unüblich und der Unterricht ist sehr, sehr streng“, sagte Wenxin Zhang, als sie an den Zinzendorfschulen für Lehrer und Erzieher ein Seminar über interkulturelle Kommunikation abhielt. Weil viele chinesische Eltern das westliche Schulsystem für besser erachten und ihren Kindern gute Chancen in der globalisierten Welt bieten möchten, ermöglichen sie ihnen den Aufenthalt in Deutschland, zum Beispiel im Zinzendorfinternat in Königsfeld.Jiajun Zhu, Qihua Lin und Dinghao Shi sind drei der Schülerinnen und Schüler, die eine so weite Anreise hinter sich haben. Die Umstellung war schon recht groß, kommen sie doch alle aus Städten mit zwei bis sechs Millionen Einwohnern und leben jetzt bis zum Abitur in der kleinen Gemeinde im Schwarzwald. „Ein Freund von mir war in Deutschland und hat mir geraten, auch hierher zu kommen“, sagt Qihua. England oder die USA waren für die Gymnasiasten keine Option. „Da leben so viele Chinesen, da lernt man ja nichts.“ Um gar nicht erst versucht zu sein, untereinander chinesisch zu sprechen, besuchen die Neuntklässler Qihua und Dinghao Parallelklassen an den Zinzendorfschulen, die 17-jährige Jiajun ist ohnehin ein Jahr weiter.
Individualismus, Direktheit, Pünktlichkeit, Anerkennung durch Leistung auf der einen Seite und Gruppenzugehörigkeit, Soziale Harmonie, Gesicht wahren und strenge Hierarchie auf der anderen Seite bieten genügend Raum für Missverständnisse, erklärte Wenxin Zhang. Diese fingen schon bei Tisch an: Während sich im Reich der Mitte beispielsweise niemand an geräuschvoller Nahrungsaufnahme störe, ist dies in Deutschland ziemlich verpönt. Sich dagegen in der Öffentlichkeit zu schnäuzen, geht dagegen in China gar nicht. Aber diese Unterschiede lernen die chinesischen Schüler schnell. Schwieriger sind die Mahlzeiten an sich. „Zu Hause essen wir dreimal täglich warm“, erklärt Jiajun, die eine Weile brauchte, sich an das kontinentale Frühstück im Internat zu gewöhnen.
Neben einer Einführung in die chinesische Kultur, ihren Einfluss auf die Mentalität und einem Überblick über das chinesische Schulsystem sprach Wenxin Zhang vor allem um die Unterschiede an und was diese für den Schulalltag bedeuten. Die Chinesin kennt beide Welten, denn sie lebt seit ihrem elften Lebensjahr in Deutschland.
Sie vermittelte ein anschauliches Bild von China als einem Land voller Gegensätze, in dem die strenge Pädagogik der Schulen so gar nicht zu der eher mediterran anmutenden Ausgelassenheit und einem eher legeren Umgang mit Pünktlichkeit zu passen scheint. Mitternächtliche generationenübergreifende Pyjama-Partys in aller Öffentlichkeit seien nichts Ungewöhnliches und die Kommunikation berge für westliche Besucher so einige Fallstricke: Ein schroffes ‚Nein‘ verbiete sich, aber ein ‚Ja‘ bedeute nicht unbedingt, dass etwas erledigt wird.
„Einen Terminkalender zu führen, ist in China nicht üblich“, erklärte Wenxin Zhang. „Die Schüler, die in Deutschland unterrichtet werden, sind sehr erstaunt, dass sie beispielsweise einen Termin für einen Besuch beim Arzt brauchen.“ Chinesen täten sich ziemlich schwer damit, Dinge wie Urlaub mit einem Vorlauf von mehreren Wochen zu planen, einfach, weil sie spontaner sind. Dieses Zeitverständnis lässt beispielsweise Schulferien schon mal zu einer Herausforderung für alle an der Organisation der Heimreise Beteiligten werden, wie der Internatsleiter Andreas Sendlbeck zustimmend berichtete. Die allerdings wird immer souverän gemeistert.