Jüdischer Zeitzeuge berichtet von Odyssee seiner Familie durch Europa
15.06.2012
Holocaust-Überlebender Felix Rottberger an den ZinzendorfschulenEine Geschichtsstunde der besonderen Art durften Schülerinnen und Schüler der neunten und zehnten Klassen von Gymnasium und Realschule erleben. Felix Rottberger, Überlebender des Holocaust, erzählte den gebannt zuhörenden Schülerinnen und Schülern von der Odyssee seiner Familie durch Nordeuropa während der Zeit des Nationalsozialismus.
„Das ich heute hier vor Euch stehen kann, ist gleich mehreren Wundern zu verdanken“, beginnt Rottberger seine bedrückende Geschichte. Bis 1933 war seine Familie reich und angesehen, aber schon kurz nach Hitlers Machtergreifung fingen die Repressalien an. Das Radiogeschäft seines Vaters in Berlin wurde 1935 geplündert. „Er war damals noch so naiv, die Nazis bei der Polizei anzuzeigen“, berichtet Rottberger. Daraufhin wurde er in so genannte Schutzhaft genommen und nach der Entlassung wurde ihm nahegelegt, Deutschland zu verlassen. „Das war aber nicht so einfach, denn kaum ein Land wollte Juden aufnehmen.“
Die einzige Möglichkeit war ein Land „oben am Nordpol“. Nur nach Island konnten Juden fliehen, wenn sie das Geld für die zehntägige Überfahrt hatten, denn dort war zur Einreise kein Visum nötig. Seine mit der ältesten Schwester hochschwangere Mutter wollte die Strapazen der Reise nicht auf sich nehmen, sie kam erst nach der Geburt nach. „Die Wiedersehensfreude war groß und innig und neun Monate später kam ich zur Welt – als erster und einziger Jude, der in Reykjavik geboren wurde.“ Die Isländer, so Rottberger, hätten nämlich der gleichen Ideologie wie Nazi-Deutschland angehängt und Juden waren dort nicht gern gesehen.
1938 wurde sein Vater, der sich inzwischen wieder ein erfolgreiches Geschäft aufgebaut hatte, grundlos verhaftet. Die Familie wurde nach Deutschland zurückgeschickt, wohl wissend, dass sie dort der sichere Tod erwartet. Es war den Überredungskünsten seiner Mutter zu verdanken, dass der Kapitän sie in Kopenhagen von Bord gehen ließ, um die deutsche Botschaft aufzusuchen. Von dort aus konnte sie Menschen finden, die für die Familie bürgte, so dass sie in Kopenhagen bleiben konnten. „Es waren wildfremde Menschen, die uns geholfen haben“, erinnerte sich Rottberger noch immer mit einem leichten Staunen.
In Dänemark sei es der Familie so lange gut gegangen, bis auch der Inselstaat von Hitlerdeutschland besetzt wurde. Ein evangelischer Pfarrer, der 6500 Juden zur Flucht über den Öresund nach Schweden verhalf, wollte auch seiner Familie die Einreise nach Schweden ermöglichen, aber nur die Eltern schafften es. Die Kinder blieben bis nach Kriegsende bei einer dänischen Pflegefamilie auf einem Bauernhof. Jedoch mussten sie sich auch hier verstecken, sobald deutsche Soldaten kamen – und das kam oft vor, denn gleich neben dem Gehöft lag ein Übungsplatz der Besatzer. Erst nach dem Krieg fanden Felix und seine Geschwister ihre Eltern wieder. Zehn Jahre nach Kriegsende ging er zurück nach Deutschland, was später bei seinen Besuchen in Israel oft auf Unverständnis stieß.
„Dafür gibt es zwei Gründe“, erklärte er den Schülern. Zum einen müsse vor allem die Jugend aufgeklärt werden und selbst erfahren, dass Juden nicht besser und nicht schlechter sind als Nicht-Juden. Zum anderen wären Hitlers Pläne sonst doch noch aufgegangen, wenn keine Juden mehr in Deutschland leben würden.